[FPA SWN • Warreport]
Die Situation am Tag 1402 des Krieges (Ende Dezember 2025) verdeutlicht die tiefe diplomatische Sackgasse und die extreme emotionale Verhärtung auf beiden Seiten. Hier ist eine Einordnung der aktuellen Entwicklungen:
1. Der 20-Punkte-Friedensplan: Ein diplomatischer Puffer?
Dass Russland verhalten reagiert, ist ein klassisches Signal der strategischen Abwägung. Ein 20-Punkte-Plan ist meist ein Kompromisspapier – oft von Drittstaaten (wie etwa einer Koalition aus dem globalen Süden oder europäischen Vermittlern) eingebracht.
Russlands Maximalforderungen: Der Kreml beharrt weiterhin auf der Anerkennung der völkerrechtswidrigen Annexionen und einer neutralen Ukraine. Da ein 20-Punkte-Plan vermutlich Souveränitätsgarantien für Kiew enthält, kollidiert dies frontal mit Putins Ziel einer „Entmilitarisierung“.
Taktische Ablehnung: Eine Abweisung scheint wahrscheinlich, da Moskau Verhandlungen oft nur als Instrument nutzt, um Zeit zu gewinnen oder die westliche Unterstützung zu spalten, ohne von territorialen Ansprüchen abzurücken.
2. Selenskyjs Rhetorik („Verrotten“)
Die Aussage des ukrainischen Präsidenten am Tag 1402 markiert einen Punkt, an dem Diplomatie auf persönlicher Ebene faktisch nicht mehr existiert.
Entmenschlichung des Gegners: Die Wortwahl („verrotten“) spiegelt die über Jahre angestaute Wut über Kriegsverbrechen und die Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur wider. Es ist eine Botschaft an die eigene Bevölkerung und die Truppen: Es gibt kein Zurück zu einer Normalität mit der aktuellen russischen Führung.
Innenpolitische Signalwirkung: Nach fast vier Jahren Krieg muss Selenskyj Entschlossenheit zeigen. Solche harten Formulierungen sollen Kriegsmüdigkeit entgegenwirken und klarmachen, dass Gerechtigkeit (in Form der Bestrafung der russischen Führung) ein Kriegsziel bleibt.
3. Gesamteinschätzung
Wir sehen hier eine Asymmetrie der Kommunikation:
Während auf internationalem Parkett über komplexe 20-Punkte-Papiere debattiert wird, kommuniziert Kiew auf einer existentiellen und moralischen Ebene.
Die Wahrscheinlichkeit eines Durchbruchs ist gering, solange Russland seine Maximalziele nicht revidiert. Selenskyjs rhetorische Eskalation unterstreicht, dass Verhandlungen mit Putin persönlich für die ukrainische Seite moralisch unvorstellbar geworden sind.
Einschätzung aus dem Völkerrecht
Das völkerrechtliche Interventionsverbot ist ein zentraler Grundsatz, aber seine Anwendung im Fall der Ukraine ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Dass es sich um einen Konflikt zwischen zwei Staaten handelt, bedeutet im modernen Völkerrecht keineswegs, dass andere Staaten sich heraushalten müssen.
Rechtliche Einordnung:
1. Was das Interventionsverbot eigentlich verbietet
Das Interventionsverbot untersagt es Staaten, sich in die inneren und äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen. Aber: Nicht jede politische Einflussnahme ist verboten.
Kriterium des Zwangs: Eine Einmischung ist erst dann völkerrechtswidrig, wenn sie zwanghaft erfolgt. Diplomatischer Druck, Kritik oder das Vorschlagen eines Friedensplans (wie des aktuellen 20-Punkte-Plans) gelten als legitime Mittel der Außenpolitik, nicht als illegaler Zwang.
Domaine Réservé: Staaten haben einen Bereich, in dem sie frei entscheiden (z. B. ihr politisches System). Da der Krieg jedoch die internationale Sicherheit bedroht, ist er kein rein „internes“ Thema mehr.
2. Die Ausnahme: Kollektive Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta)
Dies ist der entscheidende Punkt:
Russland hat mit dem Angriff am 24. Februar 2022 das Gewaltverbot der UN-Charta verletzt.
Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Dieses Recht darf sie auch kollektiv ausüben. Das bedeutet, sie darf andere Staaten explizit um Hilfe bitten (Waffen, Geld, politische Unterstützung).
Daher ist die Unterstützung durch den Westen oder die Vermittlung durch die USA (z. B. unter Trump) keine illegale Einmischung, sondern eine rechtlich gedeckte Unterstützung eines angegriffenen Staates.
3. Friedenspläne als Diplomatie, nicht als Einmischung
Wenn Drittstaaten wie die USA oder europäische Länder einen Friedensplan vorlegen, handeln sie im Rahmen der Diplomatie:
Mediation: Das Völkerrecht ermutigt Staaten sogar dazu, Konflikte friedlich beizulegen (Art. 33 UN-Charta). Ein 20-Punkte-Plan ist ein Angebot zur Konfliktlösung.
Kein Diktat: Solange die Ukraine (und theoretisch Russland) dem Plan zustimmen müssen, damit er wirksam wird, liegt kein völkerrechtswidriger Zwang vor.
4. Einordnung der aktuellen Situation (Tag 1402)
Die Tatsache, dass Selenskyj so scharfe Worte wählt („verrotten“), zeigt, dass er den Plan zwar als Verhandlungsgrundlage akzeptiert (vielleicht unter US-Druck), aber moralisch keinerlei Versöhnung mit Putin sieht.
Russlands Sicht: Moskau wird den Plan wahrscheinlich als „Einmischung des Westens“ bezeichnen, um die eigene Position zu stärken. Völkerrechtlich ist dieses Argument jedoch schwach, da Russland durch den Bruch des Gewaltverbots selbst die rechtliche Grundlage für die internationale Einmischung geschaffen hat.
Zusammenfassend: Politische Einmischung ist nur dann untersagt, wenn sie die Souveränität durch illegalen Zwang untergräbt. Die Unterstützung der Ukraine und die Vermittlung eines Friedens sind jedoch durch das Recht auf kollektive Selbstverteidigung und das Gebot der friedlichen Streitbeilegung legitimiert.
