
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird nicht immer als unfehlbar angesehen und es gibt durchaus Kritik an ihrer Arbeit und den von ihr entwickelten Klassifikationssystemen wie dem ICD.
Es gibt mehrere Gründe, warum Menschen und Fachleute Kritik an der WHO und ihren Ansätzen üben:
1. Politische Einflüsse:
Die WHO ist eine internationale Organisation, die unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen arbeitet. Dies bedeutet, dass ihre Entscheidungen oft von politischen und wirtschaftlichen Interessen beeinflusst werden können. Manchmal wird kritisiert, dass die WHO Entscheidungen trifft, die nicht immer im besten Interesse der globalen Gesundheit sind, sondern auch durch politische oder wirtschaftliche Einflüsse geprägt sind.
2. Einheitliche Klassifikation:
Das ICD-10 und später das ICD-11 sind global einheitliche Klassifikationssysteme, die auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Diese Systematik ist jedoch in vielerlei Hinsicht zu allgemein, um die Vielfalt der individuellen Gesundheitserfahrungen und die unterschiedlichen kulturellen, sozialen und historischen Kontexte zu berücksichtigen. Einige Kritiker argumentieren, dass diese globalen Standards oft nicht die verschiedenen Gesundheitsrealitäten und -perspektiven ausreichen abbilden.
3. Kritik an medizinischen Diagnosen und Pharmaindustrie:
Ein weiteres Thema, das oft angesprochen wird, ist der Zusammenhang zwischen der WHO, der Pharmaindustrie und der medizinischen Forschung. Kritiker argumentieren, dass die WHO in vielen Fällen eher im Interesse großer Pharmakonzerne handelt, indem sie Medikamente fördert oder Krankheiten neu definiert, um den Absatz bestimmter Arzneimittel zu steigern. Ein Beispiel dafür ist die zunehmende Diagnose von ADHS, die von einigen als überdiagnostiziert angesehen wird, teils aus kommerziellen Gründen.
4. Kulturelle und soziale Unterschiede:
Gesundheitsprobleme und psychische Erkrankungen sind in verschiedenen Kulturen und Gesellschaften unterschiedlich definiert. Was in einem Land oder einer Kultur als „krankhaft“ betrachtet wird, könnte in einer anderen als normal angesehen werden. In solchen Fällen wird kritisiert, dass die WHO nicht genügend Raum für kulturelle Unterschiede lässt und das Klassifikationssystem universell auf alle Gesellschaften angewendet wird, was zu Fehlinterpretationen führen kann.
5. Medizinische Stigmatisierung:
Einige Menschen fühlen sich durch die medizinische Etikettierung von Verhalten oder mentalen Zuständen als „krank“ oder „gestört“ stigmatisiert, auch wenn diese Zustände keine objektive „Krankheit“ im traditionellen Sinne darstellen. Das ICD-System hat teilweise dazu beigetragen, dass viele psychische oder Verhaltensauffälligkeiten als medizinische Diagnosen betrachtet werden, was nicht immer der Realität entspricht oder den individuellen Erfahrungen gerecht wird.
6. Wissenschaftliche Entwicklungen und Änderungen:
Die WHO passt ihre Diagnosestandards und Klassifikationen regelmäßig an neue wissenschaftliche Erkenntnisse an, aber einige argumentieren, dass sie nicht immer schnell genug reagiert oder wichtige Entwicklungen in der Psychiatrie oder anderen Bereichen zu spät anerkennt.
Fazit:
Obwohl die WHO und ihre Klassifikationssysteme wie das ICD viele Vorteile bieten, wie z. B. eine standardisierte Grundlage für Diagnosen und die medizinische Forschung, gibt es berechtigte Bedenken und Kritikpunkte, die nicht unbeachtet bleiben sollten. Es ist wichtig, alternative Perspektiven zu berücksichtigen und auch zu erkennen, dass nicht alle Gesundheitsprobleme oder Diagnosen in einem globalen, standardisierten System perfekt erfasst werden können.
Gerade im Bereich der Psychiatrie oder der psychischen Gesundheit ist es entscheidend, individuelle Erfahrungen und kulturelle Unterschiede zu respektieren und nicht ausschließlich auf ein international anerkanntes System zu vertrauen, das mit einer gewissen Kategorisierung und Etikettierung arbeitet.
Es ist hilfreich, sowohl die Stärken als auch die Schwächen solcher Systeme zu erkennen und offen für alternative Ansätze in der Gesundheitsversorgung zu sein.
Bild von Miguel Á. Padriñán auf Pixabay